Kann eine dem Kapitalismus folgende Wirtschaft nachhaltig sein und wie liesse sich ein solcher Wandel herbeiführen? Manuel Lehmann, Mitgründer des «Thinkpact Zukunft», erklärt im Interview mit Julian Büchler, warum Gemüseabos und Kleidertauschbörsen in puncto Nachhaltigkeitswandel dem Klimaabkommen in Paris in nichts nachstehen, und welche Rolle dabei auch das bedingungslose Grundeinkommen spielt. Ihr Buch trägt den Titel «Kollaborativ Wirtschaften. Mit der Methode des Community Organizing zu einer zukunftsfähigen Ökonomie». Was versteht man darunter? Manuel Lehmann: Die kollaborative Wirtschaft hat ihren Ursprung in der Allmende oder den Commons. Bis 1500 war dies die vorherrschende Wirtschaftsform. Genossenschaften, wie wir sie heute kennen, gibt es seit rund 1800. Heute in aller Munde ist die Digitalisierung und Sharing. Aber auch das soziale Unternehmertum, respektive Social Entrepreneurship ist auf dem Vormarsch. Der Impact Hub, der dieses in Zürich fördert, hat inzwischen 800 Mitglieder. Mit all diesen Entwicklungen einher geht häufig der Anspruch einer Relokalisierung der Produktion. Um noch etwas konkreter zu werden: Ich rede von Bau- und Wohngenossenschaften, Gemüseabos, Lebensmittelkooperativen, Tauschkreisen, Lokalwährungen, Repair Cafés, Fablabs mit 3D-Druckern, Kleidertauschbörsen, Sharing-Plattformen, Initiativen, die Lebensmittel retten und noch so einigem mehr. Wir erleben aktuell einen Boom von solchen Initiativen und Projekten. Ich betone dabei aber auch gerne, dass es sich häufig um alte Ideen in neuem Gewand handelt, die sich häufig das Internet zunutze machen. Ist die kollaborative Wirtschaft relevant, wenn es darum geht, Konsumbedürfnisse zu erfüllen? Bei den Bau- und Wohngenossenschaften in den Städten bestimmt. Ansonsten ist diese Frage nicht ganz einfach zu beantworten. Dazu ist zu sagen, dass es in dem Bereich nur sehr wenig Forschung gibt. Und wie ich herausgefunden habe, ist dies auf der Ebene des Bundes gewollt. Der Nationalfonds spricht kaum Forschungsgelder in dem Bereich. Es gibt konkreten Widerstand aus einem Teil der Bundesverwaltung. Jeremy Rikfin, Soziologe, Ökonom und Berater diverser Regierungen und der EU, stellt fest, dass die kollaborative Wirtschaft schneller wächst als die herkömmliche Wirtschaft. Dies entgeht den Wirtschaftswissenschaften aber weitgehend, da zwar Bedürfnisse abgedeckt werden, aber kein oder viel weniger Geld fliesst. Andere Experten sehen für kollaborative Ansätze ein Potenzial von einem Drittel des Marktes und einen weiteren Drittel für Ansätze mit einem starken Bezug zum Lokalen. Sie setzen sich damit auseinander, wie der Wandel zu einem nachhaltigen Lebensstil gelingen kann. Warum spielt die Wirtschaft dabei eine besonders wichtige Rolle? Unsere Konsumgüter wie auch ein grosser Anteil aller Dienstleistungen werden von der Wirtschaft bereitgestellt. Wenn wir nun Ziele im Bereich der Nachhaltigkeit verfolgen, sind die Wirtschaft und die Produktionsbedingungen sehr relevant. Es ist nun aber ja nicht so, dass die Politik der Wirtschaft in Bezug auf Nachhaltigkeit so viel Vorschriften macht, so dass der ökologische Fussabdruck vertretbar ist. Vielfach ist es sogar umgekehrt. Die Wirtschaft stellt Ansprüche und die Spielräume der Politik werden zusehends enger. Darum sind Ansätze eines kollaborativen Wirtschaftens so wertvoll. Sie zeigen neue Wege auf. Reichen das Pariser Klimaabkommen und die Agenda 2030 der UNO (Sustainable Development Goals) denn nicht aus, um den notwendigen Wandel zu initiieren? Seit den 1990er-Jahren werden auf der Ebene der internationalen Politik Zielvorstellungen formuliert und Verträge unterzeichnet für eine nachhaltige Entwicklung und den Klimaschutz. Eine Trendwende bei den Emissionen ist aber bis heute nicht feststellbar. Die Belastungen für die Umwelt steigen sogar weiter an. Die Schweiz verlagert ihre Emissionen zusehends ins Ausland. Eine Wende wird je länger, je teurer. Die Agenda 2030, am 1. Januar 2016 in Kraft getreten, ist zwar fast allumfassend in ihren Zielsetzungen. Umgesetzt werden kann sie aber nur, wenn auch die Finanzierung sichergestellt ist. Wie dies gelingen soll, in Zeiten von steigendem Steuerwettbewerb und sinkenden Steuern, ist aber noch ungeklärt. Sollte die Wirtschaft nicht selbst ein grosses Interesse an einer gesunden Umwelt haben, schliesslich sind die meisten Branchen auf Produkte aus der Natur angewiesen? Die Wirtschaft mit ihrer Logik der kurzfristigen Gewinne tut sich aktuell sehr schwer, in grösseren Kontexten zu denken. Wobei mit der Agenda 2030 und dem Abkommen von Paris sich schon Dinge zum Besseren entwickeln. Aber die Bemühungen reichen nicht aus. In meinem Buch zitiere ich Experten, die von einem Peak Everything reden. Peak Everything? Der grosse Teil aller Rohstoffe wird in den nächsten Jahrzehnten knapp, beziehungsweise erreicht seinen Peak, zu Deutsch «Spitze». Diese Rohstoffe landen dann in der Umwelt, anstatt dass sie wiederverwertet werden. Durch eine Kreislaufwirtschaft könnte dies verhindert werden. Was passiert Ihrer Meinung nach, wenn unsere Wirtschaft es nicht schafft, zukunftsfähig zu werden? Die eine Anforderung an unsere Wirtschaft ist es, nachhaltig zu werden. Laut Jeremy Rifkin erleben wir es aber auch, wie zusehends alles billiger wird. Im Kapitalismus ist es eines der Hauptziele, möglichst günstig zu produzieren. So lässt sich aber immer weniger Geld verdienen. Im Bereich der Medien, im Speziellen in der Musik- und Filmindustrie, ist diese Entwicklung bereits weit fortgeschritten. Es sind aber immer mehr Branchen betroffen. Treiber sind die Digitalisierung und das Internet der Dinge (jedes Gerät ist an das Internet angeschlossen). So schafft sich der Kapitalismus laut Rifkin selber ab. Wenn der Kapitalismus sich nicht aufrechterhalten lässt, sehen verschiedene Autoren, die ich im Buch zitiere, einen Peak Democracy als Risiko. Die Tendenz geht Richtung autokratische Regierungen, was sich in den letzten Jahren leider bereits beobachten lässt. So ist es meiner Meinung nach obsolet, den Kapitalismus zu bekämpfen. Dieser erledigt sich von alleine. Wir müssen eine umweltverträgliche und soziale Alternative entwickeln. Darum setze ich mich für die kollaborative Wirtschaft ein. Wie ein Übergang gelingen kann – dazu wissen wir noch zu wenig. Hier braucht es die Förderung von Projekten, die kollaborative Wirtschaft unterstützen. Sowie entsprechende Forschung. Nur so können wir mehr Erkenntnisse gewinnen. Wie können kollaborative Wirtschaftsformen gefördert werden? Als Einzelperson kann ich ganz einfach mitmachen. Bei Bau- und Wohngenossenschaften, Gemüsekooperativen, Sharing-Plattformen, etc. So werde ich zum sogenannten Prosumenten. Oder ich kann selber ein neues Projekt starten in meinem Stadtteil oder meinem Wohnort. Weiter gibt es verschiedene Methoden, kollaborative Wirtschaft zu fördern. Diese können aus den gemeinschaftsorientierten Ansätzen der Sozialarbeit abgeleitet werden oder von ihnen lernen. Dies sind die soziokulturelle Animation, die Gemeinwesenarbeit und das Community Organizing. Einen solchen Ansatz verfolgt Transition Zürich. Ziel ist es aufzuzeigen, was es bereits gibt an kollaborativer und nachhaltiger Wirtschaft in Zürich, die Initiativen und Projekte zu vernetzen, das Selbstbewusstsein zu stärken und zusätzliches Engagement anzustossen. Dieses Frühjahr wird das Ernährungsforum Zürich gegründet. Es verfolgt das Ziel, Plattform zu sein für Akteurinnen und Akteure im Bereich nachhaltige Ernährung und eine Partnerschaft mit der Stadt Zürich einzugehen. Im Rahmen eines Projektes meiner Organisation Thinkpact Zukunft habe ich Vernetzungsarbeit geleistet und die Bedürfnisse der Akteurinnen und Akteure evaluiert. Ähnliches ist möglich im Rahmen von Coworking Spaces, Lokalwährungen, der Idee der Energieautonomie, Initiativen-Landkarten, Webseiten und Zeitschriften sowie spezifischen Raumangeboten. Wie dies geschehen kann, beschreibe ich in meinem Buch. Muss die Politik mehr tun? Und wenn ja, was? Die Politik kann entsprechende Initiativen zur Unterstützung kollaborativer Wirtschaft fördern und unterstützen. Und mit ihnen das Gespräch suchen. Dies kann über die Verwaltung mit den entsprechenden Ämtern geschehen. In Zürich besteht eine Offenheit und ein Interesse diesbezüglich, wie ich erfreut feststellen durfte bei meinen Abklärungen für das Buch. Wir stehen aber in Zürich und vor allem in der Schweiz in dieser Entwicklung aber sicher noch ganz am Anfang. In meinem Buch skizziere ich die Vision von 400 bis 800 Community Buildern für die Förderung der kollaborativen Wirtschaft und der nachhaltigen Entwicklung. Dies könnte auch unter Wirtschaftsförderung laufen. In Ihrem Buch sprechen Sie auch das bedingungslose Grundeinkommen an. Welche Rolle spielt dieses in diesem ganzen Prozess? Wenn wir unsere Wirtschaft umbauen wollen und die kollaborative Wirtschaft aus ihrer Nische heraustreten soll, dann braucht es einen Wandel in unserer Arbeitswelt. Mit einher geht eine Neudefinition der Arbeit. Hier kann das Grundeinkommen ein Ansatz sein. Wobei sich meiner Meinung nach auch die Auseinandersetzung damit lohnt, ob es denn wirklich gerade von Anfang an bedingungslos sein muss. In einer Übergangsphase können verschiedene «Experimente» und Versuche Sinn machen, die wissenschaftlich begleitet werden. Generell brauchen wir aber eine Diskussion, wie wir in Zukunft arbeiten wollen. Und hier steckt auch eine grosse Chance darin, auf ein besseres und schöneres Leben. Dies ist eine meiner Hauptmotivationen, um mich für die kollaborative Wirtschaft einzusetzen. Was macht Ihre Organisation für die kollaborative Wirtschaft? Mit unserer Organisation «Thinkpact Zukunft» knüpfen wir aktuell auf Bundesebene ein Beziehungsnetz. Wir reden mit Parteien, mit den grossen Umweltorganisationen, sind aktiv ein Teil der «Plattform Agenda 2030», dem Schulterschluss der Schweizer Zivilgesellschaft. Wir setzen uns dafür ein, dass Forschungsgelder gesprochen werden. Aktuell generieren wir die Finanzierung für ein Projekt der Praxisforschung im Bereich kollaborative Wirtschaft. Dieses soll zugleich die Möglichkeit bieten für einen Austausch und Vernetzung und ein Schritt sein in Richtung einer Handelskammer für kollaborative Wirtschaft. Und wir verfolgen das Ziel, einen Ausbildungsgang Community Building mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit und kollaborative Wirtschaft zu entwickeln. Denn 400 bis 800 Community Builder müssen ihr Wissen irgendwoher haben. Auf lokaler Ebene sind wir zudem offen, mit Gemeinden und Städten weitere Projekte anzustossen oder umzusetzen, um kollaborative Wirtschaft zu fördern. Manuel Lehmann ist Mitgründer des Thinkpact Zukunft und Transition Zürich. Er initiierte das Projekt Runder Tisch Ernährungswende für Zürich, das die Grundlage schaffte für die Gründung des Ernährungsforums Zürich. www.thinkpact-zukunft.ch Das Interview wurde schriftlich geführt. ERSCHIENEN IN DER ZEITUNG PS AM 25.JANUAR 2018 https://www.pszeitung.ch/alte-ideen-in-neuem-gewand/#top
0 Comments
|
Manuel LehmannVorstand Thinkpact Zukunft Archiv
March 2020
Kategorien |