Was wäre, wenn das Glück oberstes Ziel allen Wirtschaftens wäre?
Ein Tagtraum von Ute Scheub Die Volksabstimmung im Jahre 2020 war ein unvergesslicher historischer Moment, der die kleine Schweiz ins Zentrum des Erdgeschehens rückte. Auf dem Bundesplatz in Bern traten sich die Fernsehteams aus aller Welt auf Zehen und Pfoten: Schliesslich war die Schweiz das erste westliche Land, das in seiner Verfassung Glück und Gemeinwohl als oberstes Ziel allen Wirtschaftens festschrieb. So etwas in diesem Staat mit seinen Grossbanken, Chemiekonzernen, Rohstoffunternehmen? Das Erstaunlichste war, dass sich auch ein Grossteil der Schweizer Unternehmen für diese Kehrtwende eingesetzt hatte – vor allem diejenigen, die reale Produkte herstellten und die Nase voll hatten von labilen Verhältnissen und spekulativen Blasen, aus denen die Finanzindustrie ihre Profite zog. Ein ganz neues Bündnis jenseits von «rechts» und «links» entstand. Als Mitbegründerin der ökosozialen Genossenschaft «Chrüsimüsi» schloss ich mich natürlich der neuen zivilgesellschaftlichen «Glücksallianz» an. Inzwischen sind wir offizielle Berater der Regierung. Je näher die Volksabstimmung rückte, desto schriller wurden die Stimmen aus der Finanzwirtschaft: Not und Elend greifen um sich! Alle Unternehmen fliehen, das Land entvölkert sich! Irgendwann liess der Chef von Economiesuisse in allen Städten und Bahnhöfen grossformatige Bilder plakatieren, die zeigten, wie die nordkoreanische Armee in der Schweiz einmarschiert, Diktator Kim Jong-Un den Kommunismus einführt und sämtliche Vorräte an Schweizer Käse beschlagnahmen lässt. Die Bildlegenden suggerierten, das sei aus Rache für die Demütigung geschehen, ein gescheiterter Schüler der Schule Liebefeld Steinhölzli bei Bern gewesen zu sein. Das war nun wirklich zu dick aufgetragen. Das halbe Land lachte den Wirtschaftschef aus, eine «Initiative der barmherzigen Brüder und Schwestern» schenkte ihm einen Gutschein für einen Erholungsurlaub in einem Tessiner Luxushotel. Letztlich trug sein hysterischer Aufschrei sogar zum Sieg der Initiative bei: 67 Prozent der Schweizer Bevölkerung stimmten dafür, dass sich die Wirtschaft am Bruttoinlandsglück und nicht länger am Bruttoinlandsprodukt orientiert. Danach entbrannte die Debatte, wie dieses Ziel am besten zu erreichen sei. Nach der Methode von Bhutan? Der kleine Himalayastaat hatte weltweit als erster das Bruttonationalglück seiner Bewohner als Ziel in seine Verfassung aufgenommen. Seitdem ziehen Beauftragte seiner Glücksbehörde alle zwei bis drei Jahre mit einem umfangreichen Fragebogen von Haus und Haus. Sie fragen, ob die Leute glücklich sind in ihrer Kommune oder zufrieden mit der Gesundheitsversorgung, der Schule ihrer Kinder, der Regierung. Manche schlugen das Modell nun auch für die Schweiz vor, andere fanden das nicht so witzig: Die Daten könnten für eine gigantische Gesinnungsschnüffelei missbraucht werden. Unsere «Glücksallianz» einigte sich schliesslich auf strikt anonymisierte Umfragen. Und zusätzlich dazu auf einen Totalumbau des Wirtschaftsrechts: Verbot von Aktiengesellschaften und Hegdefonds; strikte Kontrolle von Unternehmen, ob sie nach ökosozialen Kriterien wirtschaften; Einschränkung von Börsenspekulation und Geldschöpfung der Banken; Förderung von Genossenschaften, Sozialunternehmen und Gemeinwohlbetrieben. Nach und nach ersetzte Kooperation Konkurrenz, der Zeitwohlstand den Geldwohlstand, und Wertschätzungsketten wurden wichtiger als Wertschöpfungsketten. Die globalisierte Güterproduktion relokalisierte sich wieder, Schweizer Uhren wurden nicht länger in China hergestellt. Alle Produktionsweisen kamen auf den Prüfstand, ob sie Mensch und Natur schädigen oder heilen. Viele Betriebe bauten schnell um – um einer Schliessung zuvorzukommen. Der Ökoanbau erblühte, in entvölkerten Bergdörfern enstanden neue Arbeitsplätze. Sämtliche Institutionen – betriebliche, staatliche und kommunale – wurden enthierarchisiert und demokratisiert, weil Mit- und Selbstbestimmung glücklich macht. In Spitälern hatten Ärzte endlich wieder Zeit für Kranke. Im Bildungssystem stand die Potenzialentfaltung der Menschen im Mittelpunkt – denn nichts macht glücklicher, als die eigenen Kräfte und Möglichkeiten zu spüren. Und der Chef von Economiesuisse? Er wollte ja unbedingt Millionär bleiben. Nun besass er Zeitwohlstand im Überfluss und wurde Zeit-Millionär im Tessin. vom Zeitpunkt, mit freundlicher Genehmigung
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Am 20. Mai 2009 erschien in der Zeit ein Text von Walter Uchatius, der die Idee und die Motivation für die Gründung von Thinkpact Zukunft (zuvor: DANACH) sehr gut auf den Punkt bringt. Es war der Pressetext des Jahres 2009: Deutscher Reporterpreis, der Preis von Journalisten für Journalisten. Hier geht es zum Text auf zeit.de |
Manuel LehmannVorstand Thinkpact Zukunft Archiv
March 2020
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